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Eine jährliche Herausforderung: Honoraranpassungen

Immer mehr Leistungen, viel Geld – und dennoch Konflikte

Einige grundlegende Prinzipien im GKV-System sind auch fürs Thema HonorarWeiterlesen wichtig: (1) Der gesetzliche Sicherstellungsauftrag. KBV und KVen garantieren, dass sie die ambulante VersorgungWeiterlesen durch ihre Mitglieder sicherstellen (§75 SGB V). (2) Die KrankenkassenWeiterlesen bezahlen den KVen dafür eine sogenannte Gesamtvergütung, eine jährlich anzupassende Geldsumme (§85). (3) Die KVen verteilen dieses Geld unter ihren Mitgliedern (§87b, Absatz 1). (4) Für einen Teil der ambulanten ärztlichen Leistungen gibt es den vollen Preis, für einen anderen nur einen reduzierten (u.a. §87a, Abs. 3).

Einheitlicher Bewertungsmaßstab – uneinheitliches Honorar

Einnahmen und Ausgaben in der ambulanten VersorgungWeiterlesen sind ein kompliziertes Thema. Das ahnt man schon, wenn man sich nur flüchtig den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) ansieht. Er umfasst rund 2.000 Seiten. In diesem speziellen Leistungsverzeichnis für alle ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgerinnen und Versorger sind mehr als 1.500 Positionen aufgeführt. Fast alle nach demselben Prinzip: Name der Leistung – Beschreibung der Leistung – Wert der Leistung in Punkten und Euro. Also zum Beispiel 57 Punkte/6,55 Euro. Wenige Punkte drücken aus, dass eine Leistung nicht so aufwendig oder techniklastig ist, viele Punkte einen hohen Aufwand und/oder Geräteeinsatz. So waren 2023 für eine Langzeitblutdruckmessung 57 Punkte vorgesehen, für eine Zusatzpauschale bei der Diagnostik des Tinnitus 205 Punkte und für eine bestimmte DNA-Mutationsanalyse 3.746 Punkte. All das wird im Bewertungsausschuss auf Bundesebene festgelegt, von Vertretern der KBV und des GKV-Spitzenverbands. Im Konfliktfall entscheidet ein Erweiterter Bewertungsausschuss.

Ein fester Orientierungswert macht noch keinen festen Preis

Sie verhandeln auch den Preis, mit dem jeder Punkt bewertet werden soll und damit am Ende zugleich jede Leistung. Dieser Preis wird als Orientierungswert (OW) bezeichnet, manchmal auch als Orientierungspunktwert. Bis 2023 lag er bei rund 11 Cent. Folglich hätte 2023 eine Langzeitblutdruckmessung 6,27 Euro gekostet. Die Zusatzpauschale bei der Diagnostik des Tinnitus machte 22,55 Euro. Und für die DNA-Mutationsanalyse hätte es stets 412,06 Euro gegeben. Doch das ist Theorie. In der Praxis ist der Orientierungswert zwar Basis für die Honorarverhandlungen auf Landesebene zwischen Krankenkassen und KV. Aber dort wird die genaue Bezahlung regionalspezifisch angepasst. Darauf wird noch eingegangen.  

Vor allem aber: In der praktischen ärztlichen Versorgung kommen feste Preise wie in den Beispielen nur für einen Teil der abgerechneten EBM-Leistungen zustande. Feste Preise sind u.a. vorgesehen für Leistungen, an denen auf keinen Fall gespart werden soll, darunter Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen. Für Leistungen als Angebot für spezielle Patientengruppen, beispielsweise Drogenabhängige in Substitutionsbehandlung oder Menschen am Lebensende, die palliativ versorgt werden. Und auch für Leistungen, die speziell gefördert werden sollen, in einigen Regionen zum Beispiel Hausbesuche. All dies können Ärztinnen und Ärzte in vollem Umfang und zum festgesetzten regionalen Preis abrechnen.

Zusammengefasst wird die Summe daraus als extrabudgetäre Gesamtvergütung (eGV) bezeichnet. Deren Höhe liegt logischerweise nicht von vornherein fest. Sie ergibt sich immer aus der Menge der abgerechneten Leistungen. Die eGV machte 2022 bundesweit knapp ein Drittel des Geldes aus, das die Krankenkassen den KVen zur Weiterleitung als ärztliches und psychotherapeutisches Honorar bezahlten. Das waren rund 14 Mrd. Euro.

Der Großteil des Geldes wird budgetiert – alle bekommen weniger als abgerechnet

Für einen nicht unerheblichen Teil der abgerechneten ärztlichen Leistungen gibt es aber weniger Geld als den festen Abrechnungspreis: Nämlich pro Leistung etwas weniger. Oder für eine bestimmte Anzahl noch den vollen Abrechnungspreis, danach etwas weniger, dann gar nichts mehr. Denn: Die Geldsumme für die meisten ambulanten ärztlichen Leistungen wird für ein Jahr im Voraus verhandelt und liegt dann fest. Sie wird als vorhersehbare morbiditätsbedingte, also krankheitsbedingte Gesamtvergütung (mGV) bezeichnet. Im Sozialgesetzbuch VWeiterlesen ist festgelegt, dass die mGV mit „befreiender Wirkung“ gezahlt wird. Die entsprechende Summe müssen die Krankenkassen an die KV überweisen, aber nichts nachschießen. Dieses Geld muss ein Jahr lang reichen, egal, ob Versicherte später viel oder wenig zum Arzt oder zur Ärztin gehen und woran sie erkrankt sind.

Diese morbiditätsbedingte Gesamtvergütung macht etwa 70 Prozent des ärztlichen  Gesamthonorars aus. Aus vertragsärztlicher Sicht ist sie ein großes Problem. Dass ein Jahr lang alle GKV-Versicherten in einem Bundesland exakt so viel Behandlung benötigen, dass alle ärztlichen Leistungen dafür nach festen Preisen abgerechnet werden können? Weil das abgezählte Geld aus der mGV genau reicht? Völlig unwahrscheinlich. Regelmäßig wird in Wirklichkeit für Leistungen weniger gezahlt, als es EBM und regionaler OW vorsehen. Für ärztliche und Psychologische PsychotherapeutinnenWeiterlesen und -therapeuten gelten allerdings etwas andere Maßgaben und Honorarprinzipien (siehe Infos bei „Dokumente“).  Ihr Honorar beruht zu ca. 90 Prozent auf festen Preisen.

Es gibt viele Beitragsmittel – aber nicht unbegrenztes Kassengeld

Auch wenn es zwischen KV- und Krankenkassensystem über Fragen der gerechten und ausreichenden Honorarierung regelmäßig Auseinandersetzungen gibt: Schuld ist an der Lage keiner von ihnen. Das Sozialgesetzbuch V und damit der Gesetzgeber geben seit Jahrzehnten die Regeln dafür vor. Für diese gibt es gute Gründe. In Deutschland sind 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in der Gesetzlichen Krankenversicherung, die meisten als Pflichtmitglieder. Sie müssen einkommensabhängige Beiträge dafür zahlen, ebenso ihre Arbeitgeber. Die Krankenkassen bieten allen Mitgliedern umfassenden Schutz (§1 SGB V), u.a. durch eine umfangreiche ambulante ärztliche und psychotherapeutische Versorgung. Sie müssen aber mit begrenzten Finanzmitteln auskommen, sonst würden die GKV-Beiträge steigen und steigen. Allerdings kann Medizin immer mehr Angebote machen, Ansprüche der Versicherten wachsen, die Menschen werden älter und kränker. Das ist eine Herausforderung – jedes Jahr wieder. Dies bekommen auch KBV und KVen zu spüren, wenn sie übers Honorar verhandeln.

Honorarverhandlungen: Die Abläufe auf Bundesebene

Bis 31. August müssen KBV und GKV-SpitzenverbandWeiterlesen alljährlich fürs Folgejahr zwei Empfehlungen für die ärztliche und psychotherapeutische Honorierung abgeben:

  1. Wie hoch die morbiditätsbedingte Veränderungsrate fürs Honorar sein soll (Mengenkomponente). Basis dafür sind Analysen, in welchem Umfang die Gesamtbevölkerung älter und kränker geworden ist. Denn das bedeutet in der Regel mehr Arbeit in der ambulanten VersorgungWeiterlesen.
  2. Wie hoch der neue Orientierungswert sein soll (Preisfaktor). Basis dafür sind bereits feststellbare Kostenveränderungen in der ambulanten und psychotherapeutischen Versorgung, zum Beispiel durch billigere Geräte oder höhere Personalkosten. 

Aus beidem ergibt sich eine Gesamtempfehlung, wie stark die Honorare bundesweit im Folgejahr steigen sollten. Bei den Verhandlungen im Sommer 2023 fürs Jahr 2024 ergaben sich ein neuer Orientierungswert von knapp 12 Cent und eine bundesweite Honorarempfehlung von plus 1,6 Mrd. Euro.  

Honorarverhandlungen und -verteilung: Die Abläufe auf Landesebene

Bis 31. Oktober müssen dann in jedem Bundesland KV und die Verbände der Krankenkassen die Gesamtvergütung für ihre Region aushandeln. Im Streitfall entscheidet eine Schiedsstelle. Wichtige Größe ist neben der Bundesempfehlung die Entwicklung im Vorjahr. Darauf baut die Anpassung auf. Denn dass plötzlich große Bevölkerungsteile viel gesünder oder kränker werden, ist unwahrscheinlich. Zu berücksichtigen ist weiter die genaue Anzahl der GKV-Versicherten, die in dem Land leben. Und Besonderheiten, die beide Selbstverwaltungspartner eingebaut haben möchten. Den weitaus größten Teil macht in jeder KV die morbiditätsorientierte Gesamtvergütung aus.   

Weil sie wie dargestellt begrenzt ist, müssen KV und Krankenkassen von vornherein überlegen, wie dieses Geld möglichst gerecht und kalkulierbar übers Jahr verteilt wird. Das wird in allen KVen mit einem Honorarverteilungsmaßstab (HVM) bestimmt. Auch dabei handelt es sich um sehr komplexe Regelwerke. Bestimmte gesetzliche Vorgaben müssen im HVM eingehalten werden. Dazu zählt die Verpflichtung, eine übermäßige Ausdehnung von Leistungen zu vermeiden. Mit vielen verschiedenen Regelungen soll für alle KV-Mitglieder ein Ausgleich zwischen abgerechneten Leistungen und begrenztem Honorarvolumen erreicht werden. Drei Beispiele:

  • Fachgruppentöpfe: Das Honorar wird von vornherein anteilig auf verschiedene Fachgruppen verteilt. So will man u.a. vermeiden, dass hausärztlich tätige Ärztinnen und Ärzte zu wenig Honorar erhalten, weil ihre fachärztlichen Kolleginnen und Kollegen zu viel behandelt haben – und umgekehrt.
  • Regelleistungsvolumen (RLV), teilweise auch Praxisbudgets genannt: Damit wird versucht, Planungssicherheit für Ärztinnen und Ärzten herzustellen. Und zugleich verhindert, dass einzelne von ihnen oder Arztgruppen deutlich mehr abrechnen als andere und so Verteilungskämpfe entstehen. Die KV berechnet für jedes ärztliche Mitglied ein RLV. Damit sollen diese abschätzen können, wieviel Patienten sie versorgen können ohne Honorarabschläge für ihre Arbeit. In solche RLV-Berechnungen fließt u.a. ein, wie viele Fälle in der Fachgruppe durchschnittlich versorgt werden und was für sie im Durchschnitt abgerechnet wird. Außerdem werden Besonderheiten berücksichtigt. Versorgt eine Praxis beispielsweise viele Rentnerinnen und Rentner, akzeptiert die KV mehr Leistungen und entsprechend höhere Honorarforderungen. Ist das RLV ausgeschöpft, werden weitere Leistungen nur noch zu niedrigeren Preisen, teilweise auch gar nicht mehr bezahlt.
  • Qualifikationsgebundene Zusatzvolumen (QZV): Wenn Ärztinnen und Ärzte für etwas besonders qualifiziert sind und deshalb spezielle Leistungen anbieten können, dürfen sie über das RLV hinaus versorgen und abrechnen. Häufig sind fachliche Genehmigungen der KV eine Voraussetzung für ein QZV, beispielsweise für Ultraschall oder die psychosomatische Grundversorgung. Auch QZV sind begrenzt.   

Tiefergehende Infos zum Thema Honorar: Auf allen KV-Homepages, beim Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi), in den quartalsweisen Honorarberichten der KBV.

Letzte Änderung: 17. März 2025